Enno E. Peter

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Der Tiger und der kleine Stern.
Ein Märchen.

In einem Dschungel lebte einst ein Tiger, der war groß und kräftig und kannte keine Angst noch Not. Eines Tages ging der Tiger wieder einmal auf die Jagd. Und wie er so den Tag lang im Wald jagte und lauerte und sprang und eigentlich auch schon nicht mehr genau wußte, was er da jagte, bemerkte er, daß der Wind anders durch die Wipfel rauschte. Er ging weiter und sah, daß die Pflanzen andere Farben und Formen besaßen, als die, die er gewohnt war zu sehen. Auch als er weiterging, entdeckte er, daß die Tiere um ihn herum eine andere Sprache redeten und so wurde ihm gewahr, daß er weit von seiner Heimat entfernt war; der Tiger hatte sich verlaufen.

Kein Wind konnte den gewohnten Geruch der Heimat zu ihm tragen, keine Pflanze ihm ein Wegweiser sein und die Tiere des Waldes, die Tiere verstanden seine Sprache nicht. Der Tiger wurde traurig, senkte den Kopf und weinte. Der Tiger weinte lange, und die Tiere des Waldes sahen ihm verständnislos zu. Die Sonne sank,die Nacht nahte und noch immer weinte der Tiger. Nach und nach hatte sich eine kleine Pfütze aus Tränen vor seinem Haupt gebildet. Er starrte sein eigenes Spiegelbild in der Pfütze fragend an, denn er wußte nicht, wie er jemals wieder den Weg nach Hause finden sollte. Doch sein Spiegelbild schaute nicht weniger hilflos drein als er selbst.

Da wurde der Tiger einem hellen Funkeln um sein Spiegelbild gewahr. Er schaute in den Himmel und sah die Sterne über ihm ihr kaltes, fernes Licht an dem nächtlichen Himmel strahlen. Da erinnerte er sich, was einst ein Weiser zu ihm gesagt hatte: Nämlich, daß die Sterne auf bestimmten Bahnen kreisen zu scheinen und wer ihren Weg kenne, sich nach ihnen richten könne. Doch der Tiger hatte natürlich nicht genau auf das gehört, was der Weise ihm gesagt.

Aber er war nicht dumm und sprach deshalb bei sich: Hierbleiben will ich nicht, also wähle ich mir einen Stern, um nach Haus zu finden und verfolge dessen Richtung, auf daß ich nicht im Kreis laufe. So betrachtete er die Sterne genauer - doch sie sahen sich alle recht ähnlich, bis auf einen kleinen schwach, aber in mehreren Farben leuchtenden Stern. "Ha", sprach der Tiger, "Du gibst Dir schöne Mühe beim Leuchten; Dich will ich wählen. " So machte der Tiger sich denn auf den Weg. Oft war der kleine Stern kaum zu erkennen zwischen den anderen, großen und die Blätter in den Wipfeln versperrten dem Tiger häufig die Sicht . Und doch gelangte er nach kurzer Zeit in vertraute Gegend und fand alsbald zu seinem Lagerplatz zurück.

Wenn er heute auf Jagd geht und einmal nicht mehr weiß, was er jagt und den Weg zurück nicht mehr findet, so schaut er nach oben zu seinem kleinen Stern und winkt ihm freundlich zu.