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Lyrik - Versuch einer
Bestimmung Auch unsere Zeit ist keine besonders gute
Zeit für Lyrik. In den Zeitungen finden wir sie nur noch in den Weihnachtsausgaben, im
Buchhandel steht sie in der hintersten Ecke und in unseren Regalen müssen wir lang nach
den meist schmalen Bänden suchen. Lyrik begegnet uns nur noch in ihren Abziehbildern: In
der Werbung versucht sie uns zu überreden, als Text in der POPulären Musik dient sie
dazu, die Wiederholung banaler Themen und einfacher Rhythmen bis zum Ausblenden zu
rechtfertigen und auf Grußkarten wird uns ein Stück Lebensweisheit präsentiert. Doch
bietet gerade die Lyrik als Medium einige Chancen. Sie ist kurz, was unserer Lesefaulheit
entgegen kommt. Sie ist verdichtet und spannungsreich, was bei dem Leser einen starken
Eindruck hinterlassen kann; dabei weicht die Sprache meist von unserer alltäglichen ab.
Das Gedicht kann also unser Leben, wenigstens einen Moment dessen, bereichern oder
infragestellen.
In unserer Diskussion über lyrische Texte, wir sprechen
dabei immer noch von Gedichten, tauchen wichtige Fragen auf, die das Wesen des Lyrischen
in unserer Zeit zu erfahren suchen. Schreiben wir in unserer Umgangsprache oder versuchen
wir, eine eigene poetische Sprache zu entwickeln? Darf man heute noch reimen? Dürfen wir
auf bekannte Formen zurückgreifen, gibt dieses Sinn? Wie sollte ein authentisches Gedicht
aussehen? Letzendlich: Warum schreiben wir? & Wer soll das, warum lesen? Einige dieser
Fragen will ich im Folgenden für mich versuchen zu beantworten, andere bleiben den
eigenen Überlegungen überlassen.
Sprache
Es gibt z. Zt. keine allgemeingültige und -verständlche
poetische Sprache, der es gelingt, unser Sein zu beschreiben. Wir bemerken nur immer
wieder, daß die alten Metaphern nicht mehr greifen. Die Bilder entsprechen nicht mehr,
Symbole und Zeichen sind verloren oder untergegangen und das zu recht: Wir leben in einer
technisierten Welt, in der Natur und Natürlichkeit (des Menschen) zunehmend tabu werden.
Deshalb stehen uns die Ausdrucksmittel, die zum Beispiel in der Romantik geschaffen
wurden, wie fremdgewordene Freunde gegenüber. Und es ist zu spüren, daß diese alte
Freundschaft nicht aus Liebe zur Nostalgie aufrechterhalten werden darf. Die heutige
Sprache wird kleiner, sie wird auf Binäroppositionen reduziert, sie ist durchdrungen von
technischen Fachtermini und Kulturimporten, die wir als Neologismen empfinden, die aber in
Wirklichkeit unser Sprachgefühl nicht erweitern (Cyberspace, Cocooning, Discman, Bungee
Jumping, Kompatibilität, etc.).
Zwei Möglichkeiten ergeben sich für eine lyrische Sprache.
Wir schreiben, wie wir reden und ermöglichen so einen allgemeinen Zugang zu unseren
Texten. Ein elitärer Anspruch, der sich nur in der Bildung von Chiffren rechtfertigt, ist
sowieso nicht mehr zu halten. Jedoch besteht bei der Verwendung der Umgangssprache das
Problem, daß diese nicht in der Lage ist, alle Grauwerte seelischen Empfindens
darzustellen. Kann sie den Konflikt zwischen Traum & Realität, kann sie die
Interaktionen zwischen Menschen wiedergeben, hat sie genügend Kraft, um Willen
umzusetzen, bzw. erst einmal darzustellen. Kann sie brechen und neu fügen?
Die andere Möglichkeit ist, eine eigene poetische Sprache zu
schaffen, die der Alltagssprache, der Sprache der Medien und der Ideologen entgegentritt
und vielleicht in einer Linie mit der Sprache derer steht, die zuerst in das moderne Leben
(Stadt und Technik) gedrängt wurden und mit ihrer Sprache antworteten: Symbolisten,
Expressionisten, Futuristen, Dadaisten u.a. Um dieser Sprache keinen esoterischen
Charakter zu geben, ist es notwendig, daß sich ihre Mittel erschließen lassen, denn
drängen uns Inhalte zu schreiben, müssen wir uns auch um eine Verständlichkeit
bemühen. Vielleicht kann es gelingen, die Kraft und Differenziertheit dieser Sprache zu
nutzen, um auch Vorgänge außerhalb des Seelenlebens, die 'Verhältnisse', zu zeigen.
Rhythmus
Für mich ist Rhythmus in jeglicher bewußten Organisation
von Material gegeben, ob dies die Beziehung der Wörter in einem Vers, die Ordnung von
Versen im Aufbau einer Strophe oder die Strophen oder Sinnabschnitte im Text betreffen. Im
Gegensatz zu dem Metrum, das nur die äußere Unterteilung der Verse ist, gibt der
Rhythmus die Lebendigkeit eines Gedichts und verbindet Form und Inhalt durch seine
Sinnakzentuierungen. Neben der Lautmalerei eines Wortes bringt die
Raum/Flächenorganisation vieler Worte eine melodische Bewegung im Text, bzw. eine
Gesanglichkeit hervor, die lange als Qualitätsmaßstab für gute Lyrik galt. Diese steht
jedoch in Gegensatz zu der "Musikalität" unseres Alltages heute. Wenn wir zum
Beispiel traditionelle Alternierungsschemen kopieren, täuschen wir ein Empfinden vor, das
erst im Nachhinein beim Lesen alter Gedicht geweckt wurde. Auf diese Weise schreiben wir
sicherlich kein Stück unserer Geschichte, denn wir schreiben nichts aus uns heraus. Was
aber können wir überhaupt anderes leisten?
Die Rhythmen unserer Zeit sind die des Tagesablaufes, der
Maschinen, mit denen wir arbeiten, der Steuerungssysteme, die unser Zusammenleben
ermöglichen, der medialen Institutionen, die wir benutzen und nicht zuletzt unserer
Unterhaltungsmusik (bass snare bassbass snare). Diese darzustellen oder uns gegen sie zu
wenden, sollte eine neue Funktion und Bedeutung des Rhyhmus in der Lyrik sein.
Thema
Themen? Da gibt es genug: Mensch & Mensch, Mensch &
Augenblick, Wandel & Wege, Glaube, Ursprung, Liebe, Träume/Ideale, Stadt,
Gesellschaft, Gefühl, das Schreiben, etc. Alles ist möglich, wenig nötig. Wir sollten
uns auf das Notwendige beschränken. Freiräume zu öffnen und diese begehbar zu machen.
Zeigen, daß es jeden Tag gilt, Möglichkeiten auszuschöpfen, um das eigene und das
Glück anderer, zu ermöglichen, halte ich für notwendig. Dabei stehen uns alle
bisherigen Spielarten lyrischer Themenvariation zur Verfügung. Wir laufen sicherlich
nicht Gefahr, einem Eklektizismus zu verfallen, wenn wir diese Pluralität nutzen und mit
unseren Mitteln formen.
Wie, was, warum
Wichtig erscheint es mir, Empfinden und Denken in einem
lyrischen Text Gestalt werden zu lassen, dies ist notwendig, um über die rein
therapeutische Funktion des Schreibens hinauszugelangen. Gerade die Innerlichkeit der
eigenen Erfahrung birgt die Gefahr, Tagebuchnotiz und Gedicht zu verwechseln. Es reicht
nicht, Eindrücke unter- statt nebeneinander zu schreiben. Nur durch die Gestaltung einer
Empfindung wird aus dem persönlichen Eindruck ein Dokument des "Übens im Gebrauch
der Freiheit".
Heutige Lyrik muß einen Gebrauchswert besitzen, da wir sie
sonst nicht brauchen und Dinge, die wir nicht brauchen, haben wir weiß Gott genug. Ich
möchte mich nicht gegen die Schönheit der absoluten Poesie stellen, doch ist es nicht
mehr an der Zeit, sich mittels dieser in sein Inneres zurückzuziehen. Heute ist ein
Heraustreten erforderlich, um eine (soziale) Wirkung zu erzielen. Ob Lyrik dies überhaupt
erreichen kann, ist eine andere Frage. Lyrik muß "ansteckungfähig" sein, denn
der Leser will gewonnen werden. Wollen wir mitteilen, dürfen wir nicht nur darstellen.
Unsere Versuche, die in diese Richtung zielten, waren bisher nichts anderes als
Selbstverteidigung, ein Schlagabtausch mit den 'Verhältnissen', deren Bestandteil wir
sind. Positive Werte aufzustellen, eigentlich: entgegenzustellen, und diese zu vermitteln,
wird das Schwerste in der nächsten Zeit sein.
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